Blog 2023/24

Verena Engert

Mein Engagement

als Jesuit Volunteer in Peru

Von August 2018 bis August 2019 durfte ich als Jesuit Volunteer die Kinder im Projekt CANAT in Piura/ Peru begleiten.


Das Leben mit den Kindern hat mich derart bewegt und nicht losgelassen weshalb ich im März 2023 noch einmal zurückgekehrt bin, um ein weiteres Jahr ein Stück ihres Lebensweges mit ihnen zu gehen.


Auf dieser Seite berichte ich über das Projekt und meine Arbeit während meiner Zeit in Peru.


Mich weiterhin für die Zukunft der "kleinen arbeitenden Händchen" (manitos) einzusetzen

ist mir ein Herzensanliegen!


Alleine schaffen sie es nicht, der Armut zu entkommen um ein Leben ohne Hunger und Perspektivlosigkeit zu führen. 


Muchas gracias - vielen Dank für jedes einzelne Zeichen der Unterstützung!



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Das Bewusstsein eines wohlverbrachten Lebens

und die Erinnerung vieler guter Taten

sind das größte Glück auf Erden.


Marcus Tullius Cicero

Das Projekt "CANAT"


Centro de Apoyo a Niños y Adolescentes Trabajadores

(Hilfszentrum für Kinder und Jugendliche, die arbeiten)


Piura im Norden Perus ist eine der ärmsten Regionen des Landes. Mit der Hoffnung, Arbeit zu finden, ziehen die Menschen in die Städte. Doch ihre Träume werden in den meisten Fällen enttäuscht. Die Eltern können mit ihrem geringen Einkommen die Familie nicht ernähren. Deswegen müssen auch die Kinder früh zum Unterhalt beitragen. Zum Teil sind sie da gerade einmal fünf Jahre alt. Viele können deswegen die Schule nicht beenden. Wegen der Armut können sie sich auch keine Ausbildung leisten. Ungelernt arbeiten die meisten Kinder schwer. Sie sind Hilfsarbeiter in Läden und Restaurants oder Müllsortierer auf den Müllhalden.


Hauptziel von CANAT ist es, benachteiligten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine grundlegende Schulbildung oder eine fundierte Ausbildung zu ermöglichen und sie gleichzeitig vor Ausbeutung im Kontext von Kinderarbeit zu schützen.


Hierfür konzentriert sich CANAT auf zwei Zonen - die Stadt mit ca. 500.000 Einwohnern und den campo, also das Umland wo die Menschen meist mit ihren Tieren zusammen leben und ihren Unterhalt aus der Landwirtschaft bestreiten. In einem etwas entlegenen Viertel der Stadt wurde ein Zentrum installiert, in dem ca. 100 Kinder und Jugendliche am Nachmittag betreut und in ihrer Entwicklung gestärkt werden. 

Weitere über 200 junge Menschen im campo werden in staatliche Ausbildungsprogramme vermittelt, um auch ohne Schulabschluss eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. 


Sie alle eng zu begleiten und ihnen psychologisch beizustehen ist eine weitere Kernaufgabe von CANAT. Die Familien leben in extremer Armut, die Kinder sind zum Teil Gewalt ausgesetzt, schwere Erkrankungen von Familienmitgliedern sind weitere fundamentale Probleme und es ist keine Seltenheit, dass die Kinder bei Verwandten aufwachsen, da sich die Eltern nicht um sie kümmern (können).


CANAT verfolgt nicht nur das Ziel, die Kinderarbeit abzuschaffen. Das Sozialprogramm leistet viel mehr, damit die investierte Arbeit auch langfristig Früchte trägt. Deswegen werden die Ursachen und Auswirkungen von Kinderarbeit erfasst und möglichst ganzheitlich behoben. Gerade deswegen ist es beispielsweise wichtig, dass nicht nur mit den Kindern und Jugendlichen zusammengearbeitet wird, sondern auch ihre Familien mit in die Arbeit einbezogen werden. So werden Kinder und Jugendliche gestärkt und erhalten bessere Aussichten für ihre eigene Zukunft. Zurzeit kümmert sich das Zentrum um mehr als 300 Kinder und Jugendliche.


Weitere Informationen unter

https://www.jesuitenmission.de/projekte/projekte-in-lateinamerika/peru/sozialprogramm-canat.html





DANKE für jede Unterstützung!


Die Arbeit der Jesuitenmission sowie das Programm Jesuit Volunteers finanzieren sich über Spenden. Um das CANAT-Projekt unterhalten zu können, sind ebenfalls finanzielle Mittel notwendig.



Spendenkonto:


Empfänger: Jesuitenmission

IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82 (Liga Bank)

BIC: GENO DEF1 M05



Verwendungszweck: X79300 CANAT

... zur Unterstützung der Kinder und Jugendlichen im Projekt CANAT



Verwendungszweck: X38000 Freiwilligendienst

... zur Unterstützung des Freiwilligenprogramms Jesuit Volunteers




Wer eine Spendenquittung möchte, kann seine Adresse in den Verwendungszweck schreiben und bekommt diese dann per Post zugeschickt.

Piura unter Wasser

…und die Regierung lässt die Bevölkerung im Regen stehen…


April 2023


Ich bin mir sicher, alle haben im Laufe des Lebens schon einmal erfahren müssen, worin der Unterschied besteht, von einer dramatischen Situation zu hören oder diese tatsächlich selbst erleben, aushalten und bewältigen zu müssen!


Diese Lektion wurde mir gleich am Tag nach meiner Ankunft in Piura – meinem Einsatzort als JesuitVolunteer – erteilt. Dass die Küstenregion im Norden des Landes seit einigen Wochen mit extremen Regenfällen zu kämpfen hat – davon hatte ich gehört. Normalerweise regnet es hier keinen einzigen Tropfen. Das kann ich von meinem Freiwilligeneinsatz 2018/19 bestätigen. Dies lässt erahnen, welche Katastrophe ein Regen auslöst, bei dem förmlich Eimer über der Stadt und den umliegenden Feldern ausgeschüttet werden; und all dies über Stunden hinweg.


In meiner zweiten Nacht in Piura war ich selbst mittendrin! Ich habe das große Glück, dass unser Wellblechdach keine größeren Schäden aufweist – aber an den Verbindungsnähten dringt das Wasser ein und so werden schnell alle vorhandenen Eimer, Schüsseln und Töpfe aufgestellt; streng beobachtet, um sie auch rechtzeitig vor dem Überlaufen auszuschütten – und zwar einfach über den Balkon hinunter auf die Straße, wo das Wasser bereits wie ein kleiner Fluss an den Häusern vorbeizieht. Doch was tun, wenn das Wasser plötzlich in Rinnsalen an der Innenwand herabläuft und die Pfützen auf dem Fußboden immer größer werden? „Schnell – wir brauchen Lappen!“ (mit denen wir schlecht ausgestattet sind, denn alle Stoffreste, die herumliegen, saugen kaum Wasser auf). Geschirr- und Handtücher müssen herhalten und so wringen wir über fast drei Stunden hinweg permanent die Lappen aus und schütten ca. 100 Liter Wasser in unseren Straßenfluss. Die Hände sind schon ganz aufgeweicht und ich möchte gar nicht wissen, was sich alles mit dem Regenwasser vermischt hat. Doch das ist in diesem Moment egal. Gegen 2 Uhr in der Nacht scheint der Himmel nun endlich leer zu sein – ebenso meine letzten Kraftquellen. Zeit, um zu schlafen – aber die Gedanken lassen es nicht so einfach zu…


… denn das, was ich selbst erlebt habe, ist NICHTS im Vergleich zu dem Elend, das tausende von Menschen sowohl in der Stadt – aber noch viel mehr im campo – also auf dem Land, erlitten haben und noch immer darunter leiden! Man muss sich vorstellen:


In der ca. 500.000 Einwohner zählenden Stadtgibt es Viertel, die weder gepflastert noch geteert sind. Eine simple Erdpiste führt durch die Straßen. Hier gräbt sich das angesammelte und rasend schnell passierende Wasser tief ein, wühlt die Erde auf, vermischt sich mit Abwasser und Benzinresten und schwemmt tiefe Furchen aus, kriecht letztlich durch jede Ritze in die Häuser ein. Es gibt kein Halten denn viele Viertel liegen in einer Senke und das Wasser nimmt seinen Lauf. Verstärkt werden die Wassermassen noch deutlich durch die Bäche, die direkt vom Wellblechdach herabprasseln. Dachrinnen sind hier völlig unbekannt. In Straßen, in denen das Wasser nicht abfließt da es kein Gefälle gibt, stehen die Menschen barfuß in Mitten des Dilemmas und versuchen mit vereinten Kräften, das Wasser per Besen und Schaufeln vorwärtszutreiben. Das gesundheitliche Risiko ist den Menschen in diesem Moment nicht bewusst. Eine Freundin erzählt mir später, dass ihre Schwester wegen hohen Fiebers und starkem Erbrechen ins Krankenhaus gebracht werden musste. Doch man muss Glück haben, um auch angenommen zu werden, denn die Kapazitäten sind schnell erschöpft. Ein weiteres Problem ist die Kanalisation. Es fehlen Drainagen und das Wasser kann in diesen unermesslichen Dimensionen nicht mehr abfließen. Doch das ist noch nicht das Ende des Liedes denn da ist auch noch der Fluss Piura, der mitten durch die Stadt fließt und die ganzen Niederschläge der Anden mit sich führt. Wenn die Piura über ihre Ufer tritt, würde sich die Naturkatastrophe „El Niño“ aus dem Jahr 2017 wiederholen – das wäre fatal!


Im campo – also auf dem Land– kommen noch weitere Komponenten hinzu, die tatsächlich das Überleben bedrohen. Die Konstruktion der Häuser (man muss es eher als simple Hütten bezeichnen) besteht aus Bambusrohren, Wellblech und Draht. Einige Wände sind aus Schilf geflochten und über den offenen Holzfeuerstellen befindet sich in der Regel ein Dach aus Palmwedeln, damit der Rauch abziehen kann und sich nicht im Haus verfängt. Sowohl das Essen wird auf dem offenen Feuer zubereitet als auch „chicha“ – eine Art Most aus Maiskolben. Das ist für viele Familien eine wichtige Einnahmequelle, denn sie verkaufen das beliebte Getränk. Doch was tun, wenn das Zuhause dem Starkregen nicht standhält, wenn das Dach einfällt oder eine Wand einstürzt, wenn man bis zu den Waden im Wasser steht und alles durchnässt ist; von oben und von unten? Wenn das Feuerholz nicht mehr zu gebrauchen ist, da es vollgesogen ist vom Regen?


Und dann ist da nochdie angrenzende sierra – also die Bergwelt in den Anden– wo sich ein Szenario abspielt, das man sich gar nicht ausmalen möchte! Doch es ist die gnadenlose Realität, aus der die Menschen dort nicht entkommen können. Es haben sich zahlreiche Erdrutsche ereignet und sämtliche Häuser, Straßen mitsamt einiger Einwohner in den Abgrund gezogen. Furchtbar sind die Nachrichten von vermissten Kindern. Die Menschen blicken in eine große Leere. Mit den Kräften am Ende und ohne eine Perspektive, wie es hier weitergehen soll.


Die Bevölkerung wartet auf Hilfe vom Staat, die kaum wahrzunehmen ist. Ein paar Lebensmittelpakete wurden sporadisch verteilt, die Kommune ist überfordert mit den Hilfsanträgen (die zu stellen viele betroffenen Menschen oft gar nicht in der Lage sind) zur Rekonstruktion der Dächer, hin und wieder sieht man eine kleine Pumpe in der Straße, die hilflos versucht, das stehende Wasser abzuleiten. Viele Straßen sind unpassierbar weil das Wasser alles blockiert. Einzelne Siedlungen sind abgeschnitten und es kommt eine große Gefahr hinzu:Dengue!Die Bevölkerung hat Angst, denn es fehlen die Mittel zur Prävention. Man behilft sich mit ein paar Räucherstäbchen, welche die gefürchteten Stechmücken vertreiben sollen, allerdings schädlich für die Atemwege sind. Mückenspray ist teuer und rar. Es kursieren ein paar Hausmittelchen: eine Tinktur aus Eukalyptusblättern für die Haut oder ein Gebräu aus Wasser, Zucker und Hefe, welches die Mücken fernhalten soll. Man improvisiert in allen Lebenslagen, um zu überleben und diese Extramsituation zu überstehen.


CANAT, das Zentrum, das sich um arbeitende Kinder und Jugendliche in Piura kümmert, hat sofort reagiert – und das, obwohl viele der Mitarbeit und auch das Zentrum selbst unter Wasser standen. Es wurden schon am nächsten Tag Materialen zur Instandsetzung der Dächer der am schlimmsten betroffenen Familien besorgt und in Einzelfällen stand das Team sogar als „Dachdecker“ zur Verfügung denn manche der Kinder leben bei den Großeltern und brauchen tatkräftige Hilfe beim Wiederaufbau. Eine Kampagne zur Unterstützung mit Lebensmitteln läuft und auch Schulmaterial (das ebenfalls dem Wasser zum Opfer gefallen ist) und Präventionsmittel gegen Dengue werden in den kommenden Wochen an über 200 Familien verteilt. Ein Kraftakt – finanziell und personell! Darüber hinaus ist seelischer und psychologischer Beistand enorm wichtig in dieser existenzbedrohenden Lage. Nicht alleingelassen zu sein ist einer der wichtigsten Werte, den es nun zu teilen gilt.